NOTIZEN ZUR SCHAUSPIELKUNST

 

Auf dieser Seite gibt es fortlaufend Anmerkungen zur Schauspielkunst und Fragen, die bei den Workshops wiederholt gestellt werden, werden beantwortet.

 

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VERWANDLUNGSKUNST - Arbeiten mit dem Schatten

 

Wenn ich sie frage, was Schauspieler an ihrem Beruf besonders lieben, höre ich oft: die Möglichkeit sich in andere Personen zu verwandeln, jemand anderes zu sein. In der Praxis fällt aber oft genau diese Verwandlung sehr schwer, ja manche Rollen scheinen für einige völlig unzugänglich zu bleiben. Die Kunst der Verwandlung ist also alles andere als einfach.

Die gute Nachricht lautet: In jedem von uns sind sämtliche menschlichen Eigenschaften und Regungen vorhanden, nichts Menschliches ist uns fremd, und deshalb ist es an sich möglich, all diese Eigenschaften hervorzuholen und in der Rolle auszuleben.

Es gibt aber auch eine schlechte Nachricht: in unserem biografischen Leben wird uns nämlich ebenso eine Rolle zugewiesen und um unsere Zugehörigkeit nicht aufs Spiel zu setzen, studieren wir diese Rolle ein und schließen aus, was nicht dazu passt, versagen uns Charakterzüge, die abgelehnt wurden, stellen sie unter Tabu, verleugnen sie. Das sichert zwar unser seelisches Überleben, beschneidet aber den Selbstausdruck (die Möglichkeit zu Selbstoffenbarung) erheblich und schmälert so das Rollenfach empfindlich. Zudem sind sich die meisten dieser Selbstbeschneidung gar nicht bewusst. 

Um sein gesamtes Potential auszuschöpfen, muss sich der Schauspieler deshalb dem stellen, was C.G. Jung den "Schatten" nannte und über den er sagte: "Der Schatten ist alles das, was du auch bist, aber auf keinen Fall sein willst."

Dieser Prozess ist nicht unbedingt angenehm, er konfrontiert uns mit Angst-, Schuld- und Schamgefühlen, doch am Ende wartet ein wahrer Schatz: der Reichtum des ganzen Menschseins.

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Wirklichkeit ist das, was wirkt.

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Leiden als Motiv

 

Das dramatische Dreieck ist die Grundlage: das Ich wird herausgefordert und reagiert.

Eine der häufigsten Herausforderungen ist Leid.

In gewisser Weise hat ein glücklicher Mensch keine Geschichte. Er erlebt sein Leben und freut sich. Punkt. Da ist nichts, was er ändern müsste, deshalb gibt es kein Motiv. Aber so ein Leben kommt in der Praxis so gut wie nicht vor. Was uns antreibt, ist das Leiden. Aus dem, was wir kompensieren müssen, was wir nicht ertragen, nicht hinnehmen, nicht entbehren können, kurz: worunter wir leiden, erwächst die Dynamik unserer Lebensgeschichte. Und was uns am vielversprechendsten erscheint, unser Leiden zu stillen, das verfolgen wir am intensivsten. Deshalb ist es für den Schauspieler essentiell zu fragen: Worunter leidet meine Figur, was verursacht dieses Leiden und womit versucht sie, es zu überwinden?

Manche Menschen beispielsweise leiden unter ihrer Hilflosigkeit und versuchen mit Kompetenz und aggressivem Streben, dieses Leiden zu überwinden. Andere leiden unter ihrer Unscheinbarkeit und versuchen dies durch Hervortun zu kompensieren, usw.

Zu dieser Dynamik gehört auch die Vermeidung von Leid. So wurden z.B. Menschen in Liebesbeziehungen verletzt und schützen sich fortan durch Unnahbarkeit. Manche können Spannungen nicht ertragen und versuchen sie zu vermeiden, indem sie außergewöhnlich nett sind.

Fragen wir also: worunter leide ich (als Figur)? Was tue ich (als Figur), um dieses Leid zu kompensieren oder zu überwinden? Gibt es Leid, dass ich (als Figur) fürchte? Was tue ich, um es zu vermeiden?

Dann ist da noch die spannende Frage nach der Ursache des Leids. Eine der häufigsten (wir hatten es schon im Beispiel) ist Verletzung in einer Beziehung. Eltern verletzen ihre Kinder, indem sie sie mit anderen vergleichen, die „besser“ sind, oder ihnen sagen, dass sie nichts taugen, oder sie spüren lassen, dass sie nicht liebenswert sind. Das tut Kindern weh und darunter leiden sie. Wenn es dann etwas gibt, das sie tun können, um dieses Leid zu vermeiden oder zu kompensieren, ist damit schon in der Kindheit das Muster vorgezeichnet, das später höchstwahrscheinlich zum Charakter wird...

Den direkten Zusammenhang zwischen Leid und Kompensation oder Leid und Vermeidungsstrategie zu verstehen, ist sehr wichtig, vor allem auch wenn es ums Mitgefühl des Zuschauers für die Figur geht. Wenn ich bei einem Menschen nur seinen Kompensationszwang wahrnehme, kann er mir leicht unsympathisch werden. Wenn ich aber das Leid spüre, aus dem dieser Kompensationszwang entspringt, wird mich das berühren. Ich werde mich dem Schicksal weniger leicht entziehen können. Deshalb wird der gute Schauspieler immer von der Wirklichkeit des Leidens ausgehen und diese Wirklichkeit wird beim Zuseher wirken.  

 

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Anmerkungen zur Kunst der Autosuggestion 1

 

Wenn wir in uns hineinhorchen, können wir bemerken, dass da ständig eine innere, nur für uns selbst hörbare Stimme spricht. Wir nennen das Denken. Diese Stimme beschäftigt sich mit allem möglichen, aber hauptsächlich und insbesondere mit uns, dem Ich. Immer dann, wenn sie „ich“ sagt, macht sie eine Feststellung über das Ich: „Ich werde das nie schaffen“, „Mir platzt gleich der Kragen“, „Warum muss das immer mir passieren?“, „Warum mag mich keiner?“ usw. Was dabei leicht übersehen wird, ist die Tatsache, dass jede Feststellung zugleich eine Suggestion ist. Wenn die innere Stimme beispielsweise sagt „ich bin total fertig“, dann stellt sie den Zustand einer Verfassung fest, zugleich schreibt sie diesem Zustand mit dieser Aussage größere Realität zu, sie manifestiert ihn ein stückweit. Die innere Stimme ist wie die Stimme eines Hypnotiseurs, der uns seine Auffassung vom Ich und von der Wirklichkeit suggeriert. Er entscheidet, ob wir das Glas halbvoll oder halbleer sehen, ob die Situation, in der wir gerade stecken, für uns Scheiße oder Chance ist.

Dieses Phänomen des innewohnenden Hypnotiseurs kann sich der Schauspieler zunutze machen. Wenn er sich aufgrund einer Drehbuchanalyse, seiner Kreativität und Gesprächen mit dem Regisseur seine Rolle erschlossen hat, wenn er die Figur, die er manifestieren soll, gut kennt, dann kann er sich mittels der Stimme des inneren Hypnotiseurs ihre Auffassung von Ich und Welt suggerieren.

In den aufbauenden Workshops experimentieren wir praktisch mit dieser Methode und sie scheint ein äußerst Spannendes, vielversprechendes Feld zu sein...